Ein Reflex oder eine Reflexhandlung eine unwillkürliche, ungeplante, rasche und stets gleichartige physiologische Reaktion auf einen adäquaten Reiz. Ein Reflex wird durch neuronale Bahnen ermöglicht, die Reflexbögen genannt werden und auf einen Impuls reagieren können, bevor dieser das Gehirn erreicht.

Sie sind angeboren und werden häufig vom Rückenmark gesteuert. Die strukturelle und funktionelle Grundlage ist der Reflexbogen. Er ermöglicht eine schnelle Reaktion in einer Gefahrensituation.

Die Reize werden hauptsächlich von den Hautrezeptoren und vom Labyrinth (Innenohr) aufgenommen, der Reflexbogen läuft über den Thalamus und Globus pallidus (im Zwischenhirn befindlicher Teil des extrapyramidalen Systems und Zentrum der Trieb- und primitiven Reaktionsbewegungen und des unmittelbaren motorischen Ausdrucks) ohne eine Beteiligung des Großhirns.

In der Literatur werden die Begriffe Reflexe und Reaktionen häufig synonym verwendet. Eine Differenzierung ist dennoch hilfreich, denn Reflexe bleiben unveränderbar, Reaktionen werden sich verändern. "Reaktionen sind variabler als ein Reflex" (Berta Bobath).

Aus der folgenden Organisation der Reflexe entwickelte sich die höhere Motorik. Aus den Haltungs- und Stellreflexen die Extrapyramidalmotorik und aus den Gewinn- und Meidreflexen die Instinktmotivation zum Instinktverhalten.

Mono- und polysynaptische Reflexe

Bei den monosynaptischen Reflexen (Rückenmarksreflexe) ist nur eine einzige Synapse im Rückenmark beteiligt. Sie werden auch Eigenreflexe genannt, weil Rezeptor und Effektor im selben Organ liegen. Beispiel: Achillessehnenreflex (ASR), Patellarsehnenreflex (PSR).

Bei den polysynaptischen Reflexen sind mehrere zentrale Neurone hintereinander geschaltet. Rezeptor und Effektor liegen meist räumlich getrennt, so dass sie auch als Fremdreflexe bezeichnet werden. Beispiel: beim Husten wird der Reiz durch Fremdkörper im Hals (Rezeptor) aufgenommen. Die Reizantwort erfolgt durch die Atemmuskulatur (Effektor).

Interneurone

Als Interneurone (Zwischenneurone) werden Nervenzellen bezeichnet, die zwischen zwei oder mehr Nervenzellen geschaltet sind. Sie sind in der Regel zwischen sensorische und motorische Neuronen in polysynaptischen Reflexbögen geschaltet und spielen vor allem bei Fremdreflexen eine Rolle.

Eigenreflexe

Sie sind die einfachsten motorischen Verhaltensmuster (z.B. Knie- oder Patellarsehnenreflex). Hier sind 2 Neuronenarten zuständig (sensibel und motorisch). Wird ein Muskel gedehnt, so wandeln seine Muskelspindeln den Dehnungsreiz in bioelektrische Signale um, die vom sensiblen Neuron zum Rückenmark weitergeleitet werden und dort die Vorderhornmotoneurone aktivieren. Diese senden Signale in den gedehnten Muskel und veranlassen eine Kontraktion. Dadurch wird der Dehnungskraft Widerstand entgegengebracht (Absicherungsmotorik). Dies ist die schnellste motorische Reaktionsmöglichkeit bei ca. 20 ms.

Es gibt 2 Arten von Muskelspindeln:

  • phasische Muskelspindeln feuern nur kurz aber rasch und intensiv = phasische Eigenreflexe
  • tonische Muskelspindeln feuern unbeschränkt, laufen aber langsam an und bleiben so lange aktiv, bis nach ca. 200 ms eine Gegenkraft vom extrapyramidalen System aufgebaut wird. Dadurch wird die Spindel wieder entlastet und ansprechbar für neue Einwirkungen von außen. Wenn aufgrund einer extrapyramidalen Störung keine extrapyramidale Gegenkraft aufgebaut werden kann, so bleiben die gedehnten Spindeln ununterbrochen - also tonisch aktiv.

Fremdreflexe

Die Afferenzen zu den Zwischenneuronen stammen hier aus muskelfremden Organen, wie z.B. den Gelenken, Bändern, der Haut und den höheren Sinnesorganen. Diese afferenten Neurone geben ihre Information gleichzeitig zum Großhirn weiter (Muskelspindeln tun dies nicht). Fremdreflexe sind wichtig für das Gewinnen und Meiden von Reflexauslösern sowie für über die Eigenreflexe hinausgehende Absicherung der Haltung des Körpers und die Stellung der Glieder zueinander. Es gibt folgende Reflexgruppen (siehe auch Frühkindliche Reflexe):

  • Gewinnreflexe (Mundgreif-, Handgreif- und Zehengreifreflexe, Schluckreflex, Umarmungsreflex etc.
  • Meidreflexe (Schutz-, Schmerzmeid-, Wegwisch-, Wärmeregulations- und Ausscheidungsreflexe)
  • Haltungsreflexe für phylogenetisch alte Haltungs- und Gehmuster. Hierzu gehören der symmetrische und der asymmetrische tonische Nackenreflex (STNR und ATNR), ein Kriechreflex der Beine (zunächst in Bauchlage und bereits ab dem ersten Tag), der gekreuzte Streckreflex der Beine etc.
  • Stellreflexe für die Stellung der Glieder zueinander und der Erdanziehung gegenüber, z.B. der Nachenstellreflex, der Ellenbogen- und Handstütz, die Augenstellreflexe etc.
  • Gleichgewichtsreaktionen (z.B. auf der schiefen Ebene, Schaukelbrett etc.)
  • Übergeordnete Reflexkoordination im Stammhirn (Schwerpunkt im Bereich der Vestibulariskerngruppe) für koordinierte Reflexmuster über das ganze Rückenmark hinweg (s.a. Reflexkriechen nach Vojta). Ist dieses Koordinationssystem gestört, so kommt es zu den assoziierten Reaktionen und den typischen Störungsmustern beim apallischen Syndrom (Störungen der übergeordneten Reflexorganisation in der Formatio reticularis des unteren Stammhirns. Verschiedenartig gestörte generalisierte Reflexmuster, aus Hemmreflexmuster, groteske Beuge- und Streckstellungen der Arme, Beine und des Kopfes sowie verdrehte Rumpfhaltungen)

Klinische Bedeutung

Ein Ausfall der Reflexe bedeutet den Verlust der Sofortreaktion auf Umwelteinwirkungen. Bei sensorischen Ausfällen kommt es darüberhinaus zu Fehlmeldungen über die Afferenzen, sei es für die Reflexe, für die extrapyramidale Tonusanpassung an plötzliche äußere Einwirkungen, für die kinästhetische Wahrnehmung oder für die sensomotorische Antwort. Die Motorik wird unsicher und destabilisiert. Ein Ausfall der Efferenzen bedeutet, daß auch alle anderen motorischen Efferenzen nicht mehr von der höheren Motorik in die Muskulatur geleitet werden können, da die gesamte Motorik durch denselben Engpass, nämlich den peripheren Nerv als Endstrecke laufen muß. So entsteht eine schlaffe Lähmung.

Sind die Reflexe übersteuert, so bedeutet das, daß periphere Afferenzen auf die Vorderhornmoto- oder Zwischenneurone auftreffen, die normalerweise vom Hemmanteil der Pyramidenbahn abgeblockt wären. Dadurch werden schon die Eigenreflexe übersteigert, von denen die tonischen zur Spastik führen. Dazu kommen noch die phylogenetisch alten, entblockten Reflexe wie die Haltungs- und Stellreflexe, die selbstständig zu unerwünschten Haltungen führen.

In der Rehabilitation geht es vor dem Hintergrund adäquater motorischen Zielen und individueller Bedürfnisse vor allem darum, ausgefallene Reflexe anzuregen und übersteuerte Reflexe durch rückenmarks-, kleinhirn- und stammhirneigene Hemmneurone (darunter viele Hemmneurone der Gleichgewichtssteuerung im Kleinhirn) abzudämpfen.

 

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